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Titel: [TXT] Carsten Wimmer - Einmal Hacker und zurück
Verfasst am: So, 03 Apr 2011, 23:01 |
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Autor: Carsten Wimmer
Dateidatum: 14.8.2004
Code: |
E i n m a l H a c k e r u n d z u r ü c k
- der Aufstieg und Untergang eines passionierten Hackers
Da kommst Du also zum ersten Mal in eine Mailbox. Zuviele Berichte
in den Computerzeitungen haben mürbe gemacht und die nächstfällige
Anschaffung war - ein Akustikkoppler. Jetzt kann nichts mehr ver-
hindern, daß das Schicksal seinen Lauf nimmt. Da steht er nun, der
Koppler, der berühmte Draht zur Außenwelt, \"das Ding, das Dich zum
Hacker macht\". Die Gebrauchsanweisung wird nur flüchtig über-
flogen, denn Dir kann keiner was vormachen. In Windeseile hast Du
ihn angeschlossen, das Telefon zum Computer gezerrt, das mitgelie-
ferte Terminalprogramm geladen - und in nur 20 Minuten hast Du
auch schon die richtige Computerzeitung wiedergefunden, in der die
Mailboxliste steht.
Natürlich hast Du den Telefonhörer richtig herum eingelegt und
wäre der Answer-Originate-Schalter nicht zufällig schon vorher auf
Originate gestanden, Du hättest es gemerkt und ihn dorthin ge-
bracht. Bei den ersten vier Nummern war belegt, bei der nächsten
Nummer ging eine entnervt klingende Frau ans Telefon und dann end-
lich kam er, der \"Carrier\", der Pfeifton, von dem Du schon so viel
gelesen hast. Jetzt bist Du also drin, in Deiner ersten Mailbox!
Jubelnd folgst Du der Aufforderung, \"Return\" zu drücken und
tatsächlich, es funktioniert! Am liebsten würdest Du jetzt die
ganze Verwandtschaft zusammentrommeln und ihnen zeigen, daß Du
jetzt auch ein Hacker bist, aber Du bleibst cool und schaust Dir
das Hauptmenü an, das inzwischen auf Deinem Monitor steht.
Noch hast Du eine Chance, noch kannst Du auflegen und den Koppler
verkaufen, noch ahnst Du nichts von der süchtig machenden Wirkung,
den Intrigen und Gemeinheiten, denen Du Dich mit dem Beginn Deiner
Hacker-Karriere auslieferst. Doch Du machst weiter und Punkt für
Punkt wählst Du alles im Hautpmen an. Du gehst ins \"öffentliche
Brett\" und liest wundersame Mails von Leuten, die ihren Computer
verkaufen und andere wundersame Mails von Leuten, die einen Druk-
ker suchen. Gerade, als Du Dich entschließt, die originelle Mit-
teilung \"Ich war da\" in der Box zu verewigen, merkst Du, daß Du
nur begrenzten Zugang hast. Ständig wirst Du darauf hingewiesen,
daß Du einen Account beantragen mußt und Du gibst nach! Suverän
wählst Du den Menüpunkt \"Post an den Sysop\" an, schreibst ihm wie
verlangt Deine Adresse ins Fach, doch als Username fällt Dir um
alles in der Welt nichts Originelles ein. Schliealich einigst Du
Dich auf den originellen und noch nie dagewesenen Namen \"Boerni\",
und nach etlichen Versuchen wird auch Dir die Kenntnis zuteil, daa
man den Brief mit drei Punkten beenden kann. Just in dem Moment,
wo Du die \"Tips und Tricks\" lesen willst, macht die Box mit der
lapidaren Meldung \"Timelimit erreicht..\" dem Spiel ein Ende.
Tage sind vergangen - und Du hast es weit gebracht! Der Sysop hat
Dir einen Account eingerichtet und das Erfolgserlebnis war einfach
riesig, als Du zum ersten Mal eine Mail ins \"Öffentliche Brett\"
geschrieben hast: \"Suche Terminalprogramm für C 64\". Selbstver-
ständlich hast Du die Mail schön dekoriert, mit vielen Sternchen
außenrum. Jeden Tag hast Du Dich artig fünf Mal eingeloggt, um die
Reaktionen zu sehen, und die blieben auch nicht aus!
Zum einen hast Du eine Diskussion über diese \"zeitraubenden\",
\"platzsparenden\", \"dämlichen Sternchenmails\" entfacht und zum
anderen haben sich drei User über Dich lustig gemacht, weil Du
einen C 64, also nichts anderes als einen \"Brotkasten\", einen
\"Türstopper\" hast. Dies löst wiederum eine Diskussion unter den
\"richtigen\" Computerbesitzern aus - namentlich Atari contra Amiga
- bis dann letztendlich der Sysop dem Ganzen eine Ende macht, den
gesamten Müll löscht und wieder Alltag in der Box herrscht. Auf
gut Deutsch: Langeweile und immer das gleiche.
Monate sind ins Land gegangen und Du hast gemerkt, es gibt einen
festen Userstamm, der immer wieder kommt und Sinniges und Unsinni-
ges schreibt. Und es gibt auch zahlreiche Namen, die Du nur einmal
liest und dann nie wieder. Da Du \"weltweit\" bekannt werden willst,
hast Du in allen Boxen in Deiner Gegend einen Account und überall
gibst Du Deinen Senf dazu und \"müllst\" kräftig mit. Man kennt Dich
inzwischen, viele Boxen hast Du überlebt und auch in Datex-P Deine
Erfahrungen gemacht. Eine NUI kam Dir in die Hände und auf Kosten
einer bekannten Firma hast Du unzählige NUAs angewählt, von denen
leider nur fünf funktionierten und in vier davon kamst Du nicht
rein, weil Dir das richtige Passwort unbekannt war. Doch die eine,
die übrig blieb, die hatte es in sich: RMI! \"Konferenz\" hieß das
Zauberwort, und dort hast Du sie zum ersten Mal getroffen, die
wahren, die echten Hacker, und Du gehörst dazu! über Tastatur
konntest Du mit ihnen reden und alles lesen, was sie Dir sagten.
Du warst nicht länger der Otto Normalkoppler, der Mailboxuser aus
der Masse. Nach vielen Tagen, in denen Du nur auf den Arm genommen
wurdest, grüßten sie Dich sogar, wenn Du in die Konferenz kamst.
Was für ein Erfolg! Und alle paar Wochen gab es eine neue NUI, die
Du auch bekamst mit der Auflage, sie ja nicht weiterzugeben, da
sie so am längsten \"leben\" würde. Und Du hast sie nicht weiterge-
geben! Nur deinem besten Freund...
Das mit dem Hacken ist sowieso eine Sache für sich. Der Begriff
bezeichnet eigentlich immer mehr die nächtelange Hämmerei auf der
Tastatur als den genialen \"hack\", den technischen Trick. Um
tatsächlich ein Passwort zu erhacken, mit normalen Mitteln,
braucht man 300 Jahre und mehr. Bei den wenigen Erfolgsmeldungen
spielen mehr der Zufall und gewiefte Tricks eine Rolle. Da gibt es
das Terminalprogramm, das nur so tut, als wäre es eins und Du
täuschst vor, Du wärst in einer Box und speicherst dann das
Passwort des Freundes ab, der gerade da ist. Oder aber Du rufst
die Sekretärin eines Anwaltes an: \"Guten Tag, hier spricht die
Post, geben Sie mir doch mal den A-Teil Ihrer NUI, da ist eine
Störung drauf\". Falls sie dann wirklich Deinen Wünschen nachkommt,
sagst Du \"Um Gottes Willen, das ist der B-Teil, geben Sie den bloß
nicht her!\" Daraufhin verlangst Du dann den vermeintlichen A-Teil.
Derlei Tricks sollen schon funktioniert haben, aber es gibt auch
hier viel \"Hackerlatein\".
Tja, da bist Du nun nach zwei Jahren in jeder Box bekannt, hast
Dich per Datex-P in der ganzen Welt rumgetrieben (allerdings bist
Du fast überall am Login gescheitert), und kannst nun stolz
behaupten, es in der Hackerszene zu etwas gebracht zu haben, da
passiert es: Markt & Technik eröffnet eine Box, in der mehr als 20
User gleichzeitig online sein können und die zudem über Telefon
und Datex zu erreichen ist. Sofort beantragst Du Dir einen Account
und stellst fest, daa Du erst der achte User bist. Da gerade keine
NUI im Umlauf ist, und weil das Risiko, erwischt zu werden, im
Vergleich zu Datex-P gleich Null ist, treibst Du Dich Tag und
Nacht, stundenlang in der Box rum. Du laberst zuerst gescheites,
später dummes Zeug in dummen Konferenzen und merkst gar nicht, wie
süchtig Du schon geworden bist.
Eine Telefonrechnung von 300 Mark pro Monat läst anfangs noch
einen leichten Schock aus, doch nach ein paar Monaten gewöhnst Du
Dich auch daran. Ein Jahr vergeht, M & T hat mittelerweile 2000
eingetragene User, die Sitten sind strenger geworden, das Programm
schlechter und das Niveau der Konferenzen auf den Tiefpunkt gesun-
ken. Irgendwann wird Dir bewußt, daa Du eigentlich ein Pionier
warst, ein Mann der ersten Stunde, und daß Dir keiner was erzählen
kann über DFÜ. Und Du bist stolz auf Dich! Umso härter trifft es
Dich dann, sofern Du es schon mal schaffst, einen Tag nicht online
zu gehen, wenn Dich prompt so ein frecher Neuling fragt, ob Du
denn neu hier wärst.
Wo bleibt da der Respekt, fragst Du Dich resigniert!
Schließlich beginnst Du, Dir Gedanken zu machen: In den \"normalen\"
Mailboxen warst Du schon eine Ewigkeit nicht mehr und Du findest
sie sowieso primitiv und alle gleich schlecht. im Datex-Netz warst
Du auch nicht mehr, seit der Gilb die Datex-Gebähren drastisch
erhöht hat. Von den etlichen tausend Mark, die Du für die
Telefonrechnungen zum Fenster rausgeschmissen hast, ist nichts
übriggeblieben, als eine defekte Tastatur und ein kaputter Rücken
von der kauernden Haltung, die Du vor dem Computer auf dem viel zu
kleinen Tischchen eingenommen hast. Von den \"alten\" Usern, die
damals mit Dir angefangen haben, ist schon lange keiner mehr da,
\"Cyborg\" und wie sie alle heißen, haben längst das Handtuch
geworfen und die neuen in der Box sind als gleichwertiger Ge-
sprächspartner völlig indiskutabel für Dich. Mit einem lachenden
und einem weinenden Auge entschließt Du Dich also, Abschied zu
nehmen, Deinen Account löschen zu lassen und der Szene Adieu zu
sagen. Befriedigt kriegst Du noch mit, wie geschockt die Leute,
die Dich kennen, über Deinen Abgang sind. Und dann legst Du ihn in
den Schrank, den Koppler, Deinen Freund der letzten Jahre. Und
dort bleibt er auch - für alle Fälle...
Der Autor, Anton Wimmer, der diesen Artikel in DOS 1/88 veröffent-
licht hat, möge mir die notwendigen berarbeitungen verzeihen.
Frank-Michael Wolf, Leidensgenosse bis zu dem Tag, an dem das
Modem geliefert wurde...
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