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Titel: [TXT] Andreas Winterer - Keine Endzeit
Verfasst am: So, 03 Apr 2011, 22:57 |
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Autor: Andreas Winterer
Dateidatum: 14.8.2004
Code: |
Gefunden in: Die Muenchner Mailbox Presse
Titel......: Keine Endzeit
Autor......: A.Winterer
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Keine Endzeit
(C) BY ZARATHUSTRA
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-Das war\'s dann also, denke ich mir, als ich die nassen Strassen
sehe. Staendig regnet es in diesem Scheissland. Ich stehe also auf und
suche meine Latschen, prima Treter, wirklich. Nachdem ich meine
ganze Wohnung nach ihnen abgegrast habe - als ob das so schwer
waere...die paar Quadratmeter - , finde ich sie da, wo ich herkam:
neben meinem Bett. Also, rein in die Pantoffeln, echt sehr bequem, die
Dinger, sind jetzt schon ihre dreissig Mark wert gewesen. In der
Kueche laesst mein mueder Geist meinen Koerper links liegen, und
macht sich unter Stoehnen selbst an die muehselige Aufgabe, Kaffee zu
kochen.
-Mach mal das Radio an, sage ich. Andreas tut es. Antenne Bayern:
Modern Talking; Bayern 4 Klassik: Zeitgenoessische Musik; Bayern
3: Muenchner Freiheit; die Stadtsender: auch nur lalliges
Schubiduba-ba.
-Scheisse, fluche ich und lasse den Schalthebel von \'Radio\' nach
\'Kassette\' flitschen. Ich gehe zurueck ins Schlafzimmer.
-Komm, fleht mein Bett, Komm! Komm zurueck ins weiche Warme! Aus der
Muellhalde fische ich eine Kassette mit Carlos\' \"Switched-On Bach\",
hatte der nicht auch Pfaffenmusik gemacht? Also genau der
richtige Klang fuer einen Sonntag Morgen. Untergangs-Oratorien.
Toedliches Gefuge. Brandenburgische Kabale. Ich stelle mir einen
Parrer vor, wie er in der Kirche \'ne CD mit Wendy Carlos einlegt, und
bei der goettlichen Musi der Mesias endlich Grund hat,
zurueckzukommen! Knirschend laeuft der alte Rekorder an, und
Spaerenklaenge knoten sich um Noten. Es ist, als hoerte ich den Wind
um Hades Festungsmauern wimmern. Aber es ist nur mein Wasserkessel.
Bis ich endlich Filter und Kaffeemehl aufgetrieben habe, tanzt die
Haelfte des Wassers im Raum. Das sprudelnde Nass schwappt in das
dunkle Pulver, eine braune Sosse bildet sich, widerlich. Aber der
Geruch von Kaffee entschaedigt mich. Kaffee riecht gut und schmeckt
gut. Seife dagegen riecht zwar gut, aber nicht jeder kocht guten
Kaffee. Wird ja alles wegrationalisiert. Kaffeemaschinen! Eine
Todsuende! Armes Suedamerika.
-Das war\'s dann also, sage ich in den Kuehlschrank. Die Karrotten
ruehren sich nicht, summen nur in einem kraeftigen Ton von Gelb vor
sich hin. \"Oh when then saints goes marchin\' in\" ist\'s, glaube ich.
Nicht mal die Eier lassen sich beeindrucken, sie verziehen nicht die
Miene. Ich werfe noch einen engueltigen Blick zum Kaese und
schliesse die Tuer. Kann es sein, dass die da drin ueber mich
gackern? Nochmal gucke ich hinein, alles schlaeft. Ich leere fast
alles auf meinen Fruehstueckstisch, lege wohlerzogen ein Brettchen,
ein Messerchen, ein Taesschen und ein Loeffelchen hinzu, wohlfein
und im rechten Winkel zu irgendwas, denn ich bin ein ekelhafter
Pedant.
Irgendetwas fehlt. Das Brot. Heute gibt es Toast, haha, denn es
ist Sonntag. An Sonntagen hat alles ein Ende, mein Backofen muss
als Toaster herhalten, ein Vorhof der Hoelle; ich kann den Styx schon
rauschen hoeren. Nochmal gehe ich ins Bad.
-War\'s das? frage ich den Spiegel.
-Das war\'s! sagt er, ganz mein Ebenbild. Nicht gerade
phantasievoll. Ich will ihn fragen, ob er sich wohl schlau fuehle,
aber ich kenne sowieso die Antwort. Als ich in den Kleiderschrank
sehe, wie sich die Unterwaesche so stapelt, aber keine Socken fuer
meine kalten Fuesse finde, bin ich erneut bestaetigt. Eine
beschissene, eiskalte Welt.
In diesem Augenblick schaut die Sonne durch ein Loch in der
grauen Wolkendecke, und es ist, als schoessen Feuerfluten voller
Waerme in meine feuchte Huette. Die Sonne lache und vertreibt den
Regen, und ich merke, dass ich mein Hemd versetzt zugeknoepfe.
-Du kannst mich auch nicht beeindrucken, Sonne! Ich knirsche mit den
Zaehnen. Die Jalousetten knallen mit einem Paetsch!!! nach unten,
und das Licht ist weg. Ein Scheisstag, sag\' ich doch. In diesem
Moment klopft es an der Tuer. Sonntag Morgen? Ich? Besuch? Kann ja
wohl nicht angehen, und das Geklopfe wiederholt sich. Lauter,
eindringlicher, fordernder. Kennt der Typ keine Klingeln?
Ich oeffne mein Tor. Noch bevor ich\'s mich versehe huscht ein
Schatten an mir vorbei, schwarz und kalt, und mir ist, als
haette ich mir den Tod geholt. Ganz cool schliesse ich die Tuer.
Mein Gott, er war es wirklich! In voller Todesgroesse steht er vor
mir, mit schwarzer Robe, einer modrig blitzenden Sense und einem
kalten Gruftie-Laecheln. Als er denn Mund oeffnet, sehe ich, dass er
unter starker Paradonthose leidet; kein Zahnfleisch mehr.
-Du machst Dir doch nicht viel aus dem Leben, was?
Ich puhle mit einem Finger in meinen Haaren und gerate ins
Schwitzen. Bloss keine Fehler machen.
-Oooch, sage ich, dass ist bloss so \'ne Laune. Nichts konkretes. Kein
Hass aufs Leben, oder sowas, nicht?
-Da habe ich aber etwas ganz anderes gehoert, Sterblicher.
Er zieht ein dickes Buch aus der Tasche, schwarzer Einband, rot
angestrichene Namen.
-Hier steht wortwoertlich \'Scheisst aufs Leben. Veraergert die
Umwelt mit Dauerfrust. Langweilt die Mitmenschen mit Komplexen, die
jeder andere auch hat.\' Und hier steht noch: \'Flucht den ganzen
Tag in sich hinein.\'! Ist das etwa nichts konkretes? Das ist fast
schon potentielle Selbstmorddrohung! Aber jetzt bin ich ja da, kein
Problem.
Ich zwinge mir ein lustiges Laecheln auf die Lippen, pfeife
irgendeine beschissene, quirlige Jazz-Melodie vor mich hin und sage
dann:
-Heeh, hoer\' \'mal, da musst Du falsch informiert sein. Aeh...ich bin
die Lebenslust in Person, ehrlich! Mit den Augen blitze ich ihn
sportiv an. Hat ihn wohl beeindruckt.
-Du meinst, Du bist keiner von diesen Steppenwoelfen, fuer die das
Leben nur Stress bedeutet? Dir ist etwas wichtig? Du glaubst an was?
Ich gehe langsam zum Radio und stelle einen dieser entsetzlichen
Stadtsender ein. Einer, von dem ich weiss, dass er immer dieses
entsetztlich froehliche Matt Bianco bingt. Ist heute nicht, aber
Fritz Brause ist genauso schlimm.
-I...I...Ich? Ach was! Guck mal, die Sonne schiebt gerade die
Wolken zur Seite, und das herrliche...
-Lass bei mir die Sonne aus dem Spiel!
-...der Kaffee duftet, der Toast toastet, ich habe prima
Pantoffeln an - was will man mehr? Mir scheint eher, Du bist ein
finsterer Burschie ohne rechte Leb...aehhh... Daseinsfreude.
Der Tod schlaegt sein Buch auf, notiert sich etwas. Ich knuffe ihn
freundschaftlich an. Sein Gerippe fuehlt sich komisch an. Armer
Kerl.
-Na gut, dann geh\' ich wieder. Dein Glueck! Hab\' noch viel zu tun.
Ist\'n mieser Tag heute... Wie alt bist Du doch gleich?
-Zwanzig. Wieso?
-Naja, dann kann ich ja wohl kaum sagen, \'Bis bald\'. Aber trotzdem,
denk dran: Wir sehen uns nochmal! So schnell wie er gekommen ist,
verschwindet er wieder.
Ich hole den heissen Toast, setzte mich an den Fruehstueckstisch,
mit Butter, Schokocreme und Honig, Eiern und Kaese, Kaffe und
Milch, die Sonne scheint herein und ich sitze da und hole noch mal
tief Luft. Ab und zu muss man einfach einmal Luft holen. Gerade
noch gut gegangen.
Der Scheiss-Toast ist natuerlich verkohlt. Ich hasse da sein. |
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