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Titel: [TXT] Kuttowski - Das Hamster-Syndrom
Verfasst am: So, 07 Okt 2007, 20:37 |
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Autor: Kuttowski
Datum: 1993
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Das Hamster-Syndrom
Wer kennt sie nicht? Jene possierlichen Tierchen, die in den
Zoogeschäften Kinderherzen höher schlagen lassen. Erst
letztens wurde vor einem Kölner Zoogeschäft eine
Kindergartengruppe beobachtet, die vor Freude jauchzend Zeuge
einer höchst seltsamen Vorgehensweise wurde. Fachleute
bezeichnen dies als natürliche Auslese, Tierfreunde bezeichnen
es als Tierquälerei und Reptilien nennen es Mittagessen. Diese
Szene spielte sich vor einem Tier-Großmarkt ab (böse Zungen
behaupten, der tatsächliche Name wäre: Kölner Schlachthaus)...
Durch einen langen Kanal müssen die kleinen Nachtschwärmer
kriechen, vorbei an Schlangen und Fallgruben, an Narkotika und
zu guter letzt unter einem Fallbeil hindurch. Wer dies
überlebt, ist gewappnet für deutsche Kinderzimmer. Oft wird in
diesen Zimmern beobachtet, wie Hamster an das Dach ihres Käfig
klettern, und sich von dort aus hinunterfallen lassen! Jene
Suizid-gefährdeten Hamster wollen dem Elend ein Ende setzen,
jedoch haben sie nicht mit dem Einfallsreichtum jener
Sandkasten-Cowboys gerechnet, die es, bedingt durch diese
Vorfälle, für nötig halten, den Käfig in Zukunft mit der
doppelten Menge Sägespäne auszustaffieren, damit die, von der
gesamten Familie geschätzten Kunststücke, kein schlimmes Ende
nehmen...
Nach kurzer Zeit tritt bei dem Hamster ein Zustand
vollkommener geistiger Umnachtung ein. Er rennt im Käfig im
Kreis herum, und sollte er sein bequemes Domizil einmal
verlassen dürfen, flüchtet er sich unter das nächste Bett und
weigert sich wehement, wieder aus dieser geschützten Position
hervorzukommen. Natürlich ist das für die lieben Kleinen eine
erneute Chance, den Gedankengang des kleinen Tieres zu deuten.
Schnell wird beschlossen, das unser Hamster sich unter den
Tiefen des Bettes verlaufen hat, und wird kurzerhand mittels
Vaters Angelausrüstung hervorgeholt. Selbstverständlich lässt
das darauf schließen, das die Eingewöhnungszeit des Hamsters
noch nicht abgeschlossen ist, und so beläßt man ihn zunächst
einmal in seiner vertrauten Umgebung, dem Käfig...
Dem Kind wird schnell langweilig an dem Tier, denn es wird nur
nachts munter, und dann rennt es im Kreis herum und lässt sich
von der Käfig-Decke herunterfallen. Die Eltern, die dies
bemerken, und feststellen, das SIE in Zukunft mit der Pflege
des Hamsters zurechtkommen müssen, suchen nach neuen Formen um
ihrem Liebling das Zusammenleben mit dem Hamster so nett wie
möglich zu gestalten. Ergo: Ein Laufrad muss her...
Der Hamster, der immer noch im Kreis herumläuft, sieht auf
einmal ein unüberwindbares Hindernis vor sich: Ein Laufrad!
Eher beiläufig stolpert er in dieses Rad hinein, und immer
noch der festen Meinung, im Kreis zu laufen, rennt er
dementsprechend weiter. Die lieben Kinderchen finden dies zu
süß, und schnell wird das Rad ausgebaut. Bremsen werden
eingebaut (der Hamster soll ja schließlich gut durchtrainiert
sein) die dem Hamster das Laufen erschweren. Von Kinder im
Vorschulalter wurde berichtet, das sie an eben solche
Laufräder erfolgreich Dynamos angeschlossen haben. Es wurde
von besonders starken Hamster berichtet, die es sogar
schafften eine Lichtmaschine anzutreiben. Bösen Gerüchten zu
Folge bestehen einige Notstrom-Aggregate aus Hamster-
Kolonien...
Aber, wer kleine Kinder kennt weiß es, verlieren sie schnell
die Lust an diesen possierlichen Kerlchen. Spätestens wenn die
Kleinen eingeschult werden, stellen sie fest, das Hunde,
Katzen und sogar Wellensittiche bessere Gesellschafter sind.
Es kommt erschwerend hinzu, das sich der kleine Nager
inzwischen dem Wahnsinn komplett hingegeben hat. Jede
Verletzung seines Hoheitsgebietes wird mit blutigen Fingern
und, dadurch entstehend, mit Tetanus-Spritzen geahndet. Das
Kind weigert sich bald das Tier auch nur anzusehen, die Eltern
haben keine Lust mehr, die tägliche Pflege des kleinen
Tierchens weiterzuführen...
Es sind Ferien, sehnsüchtig wartet unser Kindergarten-Rocker
auf den Besuch bei der Oma. Die Eltern versprechen auf den
Hamster aufzupassen, und schon ist das Kinderzimmer leer. Nach
ein paar Tagen kommt der Kleine zurück, ein kleines Kätzchen
auf dem Arm (ein Geschenk von Oma) und stolziert stolz in das
Kinderzimmer, um dem Hamster seine neuste Errungenschaft zu
präsentieren. Aber, oh Schreck, der Hamster ist weg. Mit einer
Träne im Auge, versichert die Mutter dem gutgläubigem Kind,
das der Hamster an Sehnsucht gestorben wäre, und überhaupt,
die Katze wäre ja viel schöner...
(c) 1993 by Kuttowski |
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