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Kalle, P.I. - Kapitel III
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boris



Beiträge: 11152

Titel: Kalle, P.I. - Kapitel III
Verfasst am: Fr, 20 Mai 2005, 10:53
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Kalle, P.I.

Kapitel 3

In den nächsten Tagen und Wochen passierte nicht viel in Kalles Leben und doch tat sich einiges. Er verschanzte sich hinter seiner Fensterbank, starrte auf die Straße und filmte, was das Zeug hielt. Da er permanent mit zwei Kameras aufzeichnete, rannte er alle paar Stunden nervös nach draußen zu seinem Wagen, kurz bevor das Band voll war, um nicht eine Minute zu verpassen. Er startete die Kameras jeden Morgen zeitversetzt, damit er nicht in Verlegenheit kam, einmal zwei Bänder gleichzeitig austauschen zu müssen.
In seinem Büro stapelten sich die Kassetten, die er akribisch beschriftete, parallel führte er ein "Tagebuch" mit mehr oder weniger besonderen Ereignissen: Wer war wann im Laden, wann wurde auf- und abgeschlossen, welche Kunden kamen regelmäßig, was wurde gekauft, wie lange blieben die Kunden, unterhielten sie sich mit der Inhaberin und unendliche Details dieser Art mehr. Nach Ladenschluss blieb er noch eine Weile auf seinem Posten, um nichts zu verpassen, holte dann die Aufzeichnungen aus seinem Wagen und begann mit der Nachbearbeitung: Welcher Lieferant kam wann und wie oft, wie lange wurde jeweils gebraucht, um die Waren auszuladen, wer kam und ging sonst noch zum Hintereingang und endlos so weiter.
Im Laufe der Tage legte er ein regelrechtes Archiv an und fing an, sich auch aufzuschreiben, wer abseits des Ladens die Straße entlangging und wann, er skizzierte die Straße, soweit er sie einsehen konnte und behielt die Parkplätze und sämtliche Autos im Auge, die abgestellt und wieder weggefahren wurden.
Seine Einkäufe erledigte Kalle immer kurz vor Ladenschluß und nur dann, wenn es unbedingt sein mußte. Er ging nicht ans Telefon und hatte die Lautstärke des Anrufbeantworters auf stumm gestellt, ließ den Fernseher ausgeschaltet, hörte kein Radio und räumte nur alle paar Tage die Zeitungen aus seinem Briefkasten direkt in den Müll.

Nach und nach wurde Kalle immer unruhiger. Er malte sich aus, was passiert sein könnte, erfand Geschichten über Unfälle und unvermittelt ausgesprochene Kündigungen. Besonders spät nachts, wenn er seine Überwachungsvideos auswertete, kamen ihm immer abstrusere Gedanken, er erfand Parfümallergien, dachte an Lottogewinne und Emigration. Manchmal war er kurz davor, über die Straße und in den Laden zu stürmen und die Inhaberin zur Rede zu stellen, aber was sollte er sagen? "Tut mir leid, ich habe mich in ihre Verkäuferin verliebt, könnten Sie mir bitte ihre Telefonnummer geben?" oder "Entschuldigung, ich sitze seit Tagen auf der anderen Straßenseite und beobachte ihren Laden, würden Sie mir vielleicht verraten, wo Ihre bildhübsche Verkäuferin abgeblieben ist?" Sein mit der Zeit immer ungepflegteres Äußeres würde eher in einem Anruf bei der Polizei enden.

Samstag rief der den "Doc" an und fragte nach seiner Lieferung, die leider noch einen Tag auf sich warten ließ. Da es schon abends war, konnte Kalle sich ein wenig entspannen, sofern das bei jemandem, der seit Tagen kaum geschlafen hattte, noch möglich war.
"Worum gehts überhaupt?", fragte ihn der Doc am Telefon.
Kalle hatte nicht vor, ihn in seinen selbstvermittelten "Auftrag" einzuweihen, also erfand er eine wilde Geschichte über eine Überwachung einer untreuen Ehefrau, die ihrem Mann darüber hinaus in dessen Firma ganz übel mitgespielt hatte und bei der jetzt die Gefahr bestand, daß sie sich mit einem nicht unbeträchtlichen Paket von Devisen absetzen würde. Im Spiel sei außerdem der Liebhaber der Frau, ein ganz rauher Bursche, der schon mehrfach im Knast gesessen hatte und zu allem fähig war.
"Verarsch mich nicht, ich glaub dir kein Wort."
"Doch wirklich", fuhr Kalle fort und schmückte seine Lüge mit allerhand Feinheiten aus, die ihm aber mehr und mehr entglitten, je länger er erzählte. War jetzt die Frau untreu oder hatte sie nur Geld entwendet? War der Liebhaber wirklich der Geliebte oder nur einer, der die Gelegenheit am Schopf gepackt hatte, schnell an einen Haufen Geld zu kommen? Kalle redete sich um Kopf und Kragen, er hätte sich gerne in einen dieser Kriminalfälle verstrickt gesehen, die er so oft im Kino gesehen hatte, ein abgebrühter, knallharter Detektiv, den nichts aus der Ruhe brachte, jeden sofort durchschaute und irgendwann, eingehüllt in eine Wolke aus Zigarettenrauch, stilecht auf einer regnerischen Straße in schwarz/weiß um die Ecke bog und verschwand.
Der Doc lachte ihn aus: "Ok, Mann, wenn du mir nicht erzählen willst, worum es geht, laß es einfach und warte auf die Elster."
"Ich schwör dir, ich hab einen Fall, ich beobachte einen Laden und die Zielperson ist schon Tage nicht mehr zur Arbeit erschienen."
"Machst du jetzt einen auf Wirtschaftsschnüffler? Vielleicht die die Zielperson", er sprach das Wort durch die Nase aus, was sich sehr lächerlich anhörte und Kalle wünschen ließ, er hätte überhaupt nichts erzählt, "Vielleicht ist die Zielperson ja einfach im Urlaub."
"Hälst du mich für blöd? Das habe ich natürlich vorher geprüft."
Einen Dreck hatte er.

Später verzeichnete er in seinem Journal:
Wie konnte ich das übersehen? Ich Anfänger. Ha ha, (er schrieb tatsächlich "ha ha" auf) was sonst, ist ja der erste Fall.
Vermerk: Beobachtung unverändert fortführen. Folgende Fragen: Warum gibt es keine Vertretung? Es waren bisher immer zwei Personen im Laden und immer schien genug zu tun zu sein. Wie kann die Inhaberin das jetzt alleine schaffen?
Setze Observation noch 3-4 Wochen an. Danach Plan B.

"Plan B" hörte sich gut an, so, als wüßte er genau, was er dann vorhatte, was natürlich nicht stimmte, er zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen und nahm sich gerade deswegen vor, noch eifriger an dem "Fall" dranzubleiben. Ob er damit sein Gesicht wahren konnte, vor dem Doc und, viel wichtiger, vor sich selbst, würde sich dann erst herausstellen. Zumindest hing er nicht mehr nur gelangweilt in seinem Büro herum, die Aufregung der Tätigkeit an sich hatte ihn ergriffen.

"Von mir aus. Also, morgen, ok?"
Kalle nickte geistesabwesend, was sein Gegenüber natürlich nicht sehen konnte, aber seine Gedanken waren plötzlich ganz woanders. Er wollte seiner Geschichte einen realistischeren Anstrich geben, sollte der Doc doch denken, was er wollte, ihm war die Sache ernst.
"Sag mal, kannst du mir eine Waffe besorgen?", fragte er unvermittelt.
"Was?"
"Eine Waffe."
"So einen Scheiß mache ich nicht."
"Kennst du jemanden?"
"Was? Nein. Ich weiß nicht ..."
"Was jetzt?"
"Ich hör mich um, ok?"
"Danke."

Er machte sich eine geistige Notiz, den Doc beim nächsten Mal wieder darauf anzusprechen.


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boris



Beiträge: 11152

Titel: (Kein Titel)
Verfasst am: Fr, 20 Mai 2005, 17:54
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[fortgesetzt]

Der Zwischenfall in der Tristesse der einsamen ersten Woche am Fenster ereignete sich am folgenden Sonntagmorgen. Die Parfümerie hatte zwar geschlossen, aber Kalle stand trotzdem früh auf, um seine Videos zu organisieren und sich einen Plan für die nächsten Tag festzulegen. Außerdem wollte er auf keinen Fall Pepe verpassen, der an diesem Tag mit den lange erwarteten Wachmachern eintreffen sollte.
Gegen zehn Uhr donnerte jemand an seine Tür. Kalle schlich sich um seinen Schreibtisch herum und zog sich die Hose zurecht, ein feistes Grinsen im Gesicht. Er sah übel aus. In den letzten Tagen hatte er weder geduscht noch sich die Zeit genommen, sich zu rasieren. Er trug eine ausgeleierte Jeans und hatte sein speckiges ehemals weißes Oberhemd nicht geschlossen. Er trabte zur Tür, entfernte die Kette und schloß auf.
Als er gerade die Klinke gedrückt hatte, flog die Tür auf und traf ihn an der Stirn. Kalle taumelte zurück und faßte sich an den Kopf, seine Hand war voller Blut. Er sah auf, aber bevor er noch etwas sagen konnte, verpaßte ihm der Eindringling eine Gerade mitten ins Gesicht. Er hörte ein knirschendes Geräusch, konnte nichts mehr sehen und schlug der Länge nach hin.

"Pepe, was soll das?", fing er an, aber sofort blieb ihm die Luft weg, als er am Hals gepackt, hochgezerrt und auf den Schreibtisch geworfen wurde, wo ihm eine kurze Verschnaufpause genehmigt war, als der Angreifer die Bürotür schloß, im Anschluß daran aber sofort wieder auf ihn zukam.
"Was ...", schaffte er noch herauszupressen, da brachte ihn ein gezielter Schlag in den Magen zum Schweigen. Nach Luft schnappend spuckte er Blut auf seine Unterlagen und blickt zum ersten Mal hoch. Er hatte das Gesicht des Schlägers noch nie gesehen. Selbst wenn der schmächtige Pepe in den letzten Jahren seine Muskelmasse hätte verdoppeln oder verdreifachen können, das hier war nicht die Elster, sondern irgend jemand anderes, der ganz vergessen hatte sich vorzustellen und das allem Anschein nach auch jetzt nicht vorhatte.
"Toni schickt mich", grunzte der Gorilla nach einem ewig lange währenden Augenblick und ließ Kalle ziemlich ratlos zurück.
"Welcher Toni?", keuchte er und zuckte vor Schmerzen zurück, als er einen Versuch unternahm, seine plötzlich recht unförmige Nase zu betasten.
"Pizzeria Torino. Klingelts?"
Natürlich klingelte es. Kalle hatte dem ungeduldigen Pizza-Service einen Scheck versprochen, aber sein Auftrag hatte ihn ganz mit Beschlag gelegt, so daß er die Nummer völlig verschwitzt hatte.
"Scheiße."
"So sieht Toni das auch."
"Hörmal, ich ..."
"Hast du das Geld da? Ich möchte ungern grob werden."
Kalle wagte nicht sich vorzustellen, was das heißen sollte. Für seine Maßstäbe hatte er bereits genug Grobheit erfahren, und er war nicht bereit, sein Gegenüber auf die Probe zu stellen.
"Ich habe Schecks ...", fing er an, aber der Hulk unterbrach ihn:
"Scheiß auf Schecks, was soll ich damit? Ich will Bares sehen und zwar ein bißchen fix."
"Ich hab Toni gesagt, er bekommt einen Scheck ..."
"Willst du mich für dumm verkaufen, du Komiker? Heute ist Sonntag, da kann ich deinen Scheiß-Scheck noch nichtmal einlösen."
Das stimmte auffallend. Toni sah sich um, aber ein nervöses Zucken seines Bewachers, der wahrscheinlich vermutete, Kalle suche nach einer Waffe, ließ ihn wieder aufblicken. Eine Waffe! Aber selbst wenn Kalle eine Waffe gehabt hätte, noch bevor er den Arm hätte ausstrecken können, wäre der Schläger über ihn hergefallen und hätte ihm keine Chance gelassen, sie auch einzusetzen.
"Hör zu ...", begann er von Neuem, "ich hole morgen Geld von der Bank und bringe es Toni persönlich vorbei, plus zehn Prozent, weil er warten mußte, ist das ok?"
"Das ist überhaupt nicht ok, was glaubst du, was Toni mit mir macht, wenn ich ohne das Geld zurückkomme?"
"Ich ..."
"Schnauze!"
Kalle kannte Toni zwar nicht persönlich, aber wenn ein Kerl wie dieser hier, der wie ein Baum vor ihm zur Zimmerdecke aufragte, Respekt vor Maßnahmen hatte, die Toni ergreifen konnte, wollte er ihn auch lieber nicht kennenlernen. Er überlegte fieberhaft, sein Blick fiel auf seine Kamera, die auf die Straße gerichtet war. Hätte er die Kamera doch bloß eingeschaltet und auf das Zimmer gerichtet, hätte er jetzt einen Beweis in der Hand ... aber wie hätte er wissen können, daß ein Pizza-Bäcker wegen einer solchen Kleinigkeit so einen Aufstand machte? Kalle ärgerte sich selber über seine unsinnigen Überlegungen als ihm plötzlich einfiel, daß er überhaupt nicht wußte, um welchen Betrag es ging. Er startete einen Versuch und hoffte inständig, sich damit nicht lächerlich zu machen, denn er wollte um keinen Preis ausprobieren, wie die Reaktion darauf sein mochte.
"Ok, ich habe hier diese Kamera, die ist brandneu, gerade ein paar Tage alt und kostet ein paar Hundert Scheine. Was hälst du davon, wenn ich dir das Teil mitgebe, und ich löse sie morgen bei Toni wieder aus?"
Der Typ sah sich die Kamera an und dachte kurz nach. Kalle nutzte die Pause, um schnell weiterzureden:
"Ich brauche die Kamera dringend für meinen Job, ich hole sie morgen auf jeden Fall ab und bringe Toni das Geld, ok?"
"Ok", brummte der Kerl, und Toni atmete erleichtert auf, "aber ich sag dir eins: Wenn du morgen nicht mit der Kohle bei Toni erscheinst, falte ich dich zusammen, ist das klar?" Toni nickte erfürchtig. "Und bis dahin lasse ich dich keinen Moment aus den Augen, verhalt dich also ganz ganz ruhig."
Kalle begann langsam, Hoffnung zu schöpfen und überlegte sich gerade noch, ob die Drohung bedeutete, daß der Schläger jetzt bis morgen an seiner Seite sitzen würde, da griff dieser schon nach der Kamera und blickte Kalle an.
"Wie geht das Ding hier ab?"
Kalle erhob sich vom Schreibtisch, auf dem er bis jetzt gelegen hatte und befreite die Kamera von sämtlichen Anschlüssen und dem Stativ, daß am ausgestreckten Arm des Gorillas an dem Gerät baumelte.
"Also dann bis morgen ...", versuchte er die unangenehme Situation zu beenden, aber sein Peiniger redete ihm noch einmal ins Gewissen:
"Morgen. Mittag bist du mit dem Geld da, und bis dahin stehst du unter Aufsicht."
"Ist klar", gab Kalle kleinlaut zurück, und endlich ließ ihn Tonis Geldeintreiber allein.

Kalle schloß die Tür ab und legte die Kette wieder vor. Er ließ sich mit dem Rücken gegen die Tür fallen und sank zu Boden. Sein Kopf schmerzte, sein Magen hätte in diesem Moment alles von sich gegeben, hätte er an diesem Tag schon etwas gegessen. Er wagte nicht, seine Nase zu berühren und schüttelte langsam den Kopf über den Wahnsinn, der ihm gerade widerfahren war.
Welche Ironie: Er war eines seiner wichtigsten Arbeitsgeräte für den nächsten Tag beraubt, die er zur Observation brauchte und stand zudem noch selbst unter Beobachtung. Wäre er nicht noch Minuten zuvor als Sandsack für einen Möchtegern-Boxer mißbraucht worden, er hätte fast anfangen können, über die Situation zu lachen.


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boris



Beiträge: 11152

Titel: (Kein Titel)
Verfasst am: Fr, 20 Mai 2005, 23:12
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In was hatte er sich da reingeritten? Warum war er nicht einfach auf seinem Sofa sitzen geblieben, wie jeden anderen Tag auch? Warum in aller Welt verbiss er sich in einen imaginären Fall, wie konnte er sich einbilden, ein Mädchen aus einer Parfümerie sei plötzlich "verschwunden", obwohl sie vielleicht einfach nur für ein paar Wochen am Strand rumlag und sich die Sonne auf den Bauch scheinen ließ? Warum ging er nicht duschen, machte sich ein wenig nett zurecht und stolzierte einfach über die Straße in den Laden, wie jeder andere Kunde auch und fragte, wo die blonde Schnecke bleibe, auf die er schon so lange ein Auge geworfen hatte?
Diese und andere unerquickliche Gedanken plagten Kalle, als er mit dem Rücken zur Tür auf dem Boden seines Büros lag. Jetzt grinste er träge, aber nicht weil er belustigt sondern schier verzweifelt war. Zusammengeschlagen wegen einer Pizzarechnung, das konnte doch nicht wirklich wahr sein. Übermüdet und fertig, einem Gespenst hinterher jagend.

Trotz allem hatte sich Kalle in seinen Fall verbissen. Er spürte nach zu vielen Jahren der Untätigkeit einen gewissen Kitzel, in dem von ihm selbst gewählten "Beruf", der für ihn mehr ein Traum und eine Berufung darstellte als Tätigkeit zur Sicherung seines Lebensunterhalts, denn schließlich bezahlte ihn ja niemand. Er legte sich eine "jetzt erst recht"-Haltung zu, er wollte nicht nach dem ersten Rückschlag (der ja dazu noch nicht einmal etwas mit seinem Fall zu tun hatte, wie er sich jetzt klarmachte) schon aufgeben, sondern seine Ermittlungen fortsetzen. Und noch eine Idee keimte in ihm auf: Er wollte seinen selbstgewählten Fall "beschreiben", über den Falls schreiben, nicht nur in kurzen Stichworten auf seinem Notizblock, sondern wirklich schreiben, so wie über seine berühmten Kollegen geschrieben worden war, Romane, Stücke, Drehbücher. Er nahm sich fest vor, seinen Untersuchungen eine literarische Form zu geben, etwas, was man in einem Zug lesen konnte, wie man ein Glas kaltes Wasser herunterstürzte, etwas, das beim Lesen nicht holperte wie die Sätze, die er bisher zu Papier gebracht hatte, Sätze wie "Observation fortgesetzt. Punkt. ZP unauffindbar. Punkt."
So steckte er sich ein neues Ziel. Er würde seine Untersuchungen weiterführen, mit derselben verbissenen Genauigkeit, denn er wollte schließlich einen Fall lösen, aber ab sofort mit einem spielerischen Extra, dem Umsetzen seiner Beobachtungen in etwas Beständiges, etwas, daß den Fall überdauern konnte, das auch für andere zugänglich war. Man könnte sagen, er sehnte sich ein bißchen nach Öffentlichkeit und Anerkennung, und zum ersten Mal nach langer Zeit vermisste er seine Frau.


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boris



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Titel: (Kein Titel)
Verfasst am: Di, 05 Jul 2005, 20:42
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Den Schreck noch in den Knochen, wollte sich Kalle gerade zu seinem Schreibtisch aufmachen, um seinen Plan in die Tat umzusetzen und das erste Kapitel seiner Erlebnisse zu Papier zu bringen, da klopfte es zaghaft an die Tür.
Zunächst zögerte Kalle, die Tür zu öffnen, aber er erwartete Pepe und seine dringend nötigen Wachmacher. Er ging kurz am Waschbecken vorbei, kontrollierte sein Gesicht im Spiegel und wischte sich ein wenig Blut von der Oberlippe, aber den geschundenen Eindruck, den er machte und der ihn selbst ein wenig erschreckte, konnte er nicht vertuschen. Er öffnete die Tür, draußen stand ein nervöser Pepe, der sich hastig umschaute und an Kalle vorbei ins Büro drängte.
"Mach schon die Tür zu.", stieß er hervor und eilte zum Fenster, wo er hinter den geschlossenen Lamellenjalousien auf die Straße spähte.
"Ich glaube, ich hab sie abgehängt.", sagte er nach einer Weile der Beobachtung, aber es hatte nicht den Anschein, als sei er von seiner Aussage wirklich überzeugt. Er drehte sich zu Kalle um und stutzte.
"Was ist denn mit dir passiert."
"Frag nicht. Hast du die Teile?"
"Was für Teile?"
"Warum bist du denn hier, du paranoider Spinner?"
Pepe war von Kalles Anblick anscheinend so überrascht, daß er jetzt Mühe hatte, den Faden wieder aufzunehmen und die offensichtliche Beleidigung überhörte.
"Klar ..."
Er nahm eine kleine Umhängetasche von der Schulter, öffnete sie umständlich und zog ein Röhrchen mit Medikamenten heraus.
"Wieviele sinds?"
"Was weiß ich, wieviele hast du bestellt?"
"Schon gut, gib her."
Kalle studierte die Aufschrift des Plastikröhrchens, das aussah wie einer der Verpackung, in der er sich normalerweise seine Multivitamin-Brausetabletten kaufte - mit dem Unterschied, daß die in einer Sprache beschriftet wurden, derer er auch mächtig war. Er entdeckte die Zahl 100 und mutmaßte, daß es sich dabei um die Anzahl handelte.
"Was sind das für komische Dinger? Aus dem letzten Thailand-Urlaub mitgebracht? Bei der Schrift könnte das auch Traubenzucker sein."
Pepe sah sichtlich genervt aus und ließ sich auch von Kalles derangiertem Aussehen nicht mehr aus dem Konzept bringen, er wollte den Handel so schnell wie möglich hinter sich bringen, soviel war mal klar.
"Hörmal, du hast den Scheiß bestellt, ich hab den Scheiß geliefert, den Rest machst du mit dem Doc aus, und jetzt Kohle ..."
"Kacke, Mann, will denn heute jeder nur Kohle von mir?"
"Was soll das heißen?" Pepe schnaubte verächtlich. "Du weißt, daß du beim Doc nicht anschreiben kannst."
Kalle riss die Schublade aus seinem Schreibtischs und kippte den Inhalt auf die Tischplatte. Ein Haufen Zettel, Stifte und anderer Krempel fiel heraus, die Hälfte davon landete auf dem Boden. Pepe bückte sich und hielt feixend eine Packung Kondome hoch: "Wofür brauchst du die denn?"
Kalle warf ihm einen finsteren Blick zu und griff nach einer ledernen Brieftasche, die er durchsuchte und dann in eine Ecke warf. Er stützte sich auf den Schreibtisch und überlegte fieberhaft. Pepe verschränkte die Arme, legte den Kopf zur Seite und sah ihn mitleidig an. Er malte sich gerade aus, wie der zermatschte Gesicht wohl zustande gekommen sein mochte und aus welchem Grund, als sich Kalle ruckartig aufrichtete und den Schrank so heftig aufriss, daß sich die Tür aus der Verankerung löste und krachend umschlug. Er verteilte den Inhalt des Schranks auf dem Boden, wirbelte schließlich herum und hielt einen Gegenstand in seiner Hand, den er seinem Beobachter triumphierend präsentierte.
Pepe blickt auf eine Rolle Geldscheine in Kalles Hand, sah ihm dann ins Gesicht und spottete: "Eine sichere Geldanlage, herzlichen Glückwunsch."
Kalle ignorierte ihn, zählte ein paar Scheine ab und drückte sie ihm in die Hand, woraufhin er sich sofort abwendete und mit seiner Hand wedelte.
"Und jetzt verschwinde ..."
"Das soll alles sein?"
Kalle drehte sich bedrohlich langsam zum Pepe um: "Was?"
"Ob das alles sein soll?"
"Der Preis war ausgemacht, du Pappnase, zieh Leine!"
"Was du ausgemacht hast, weiß ich nicht, ich weiß nur, daß ich die Teile wieder mitnehme, wenn du nicht bezahlst."
Kalle atmete schwer und blickte zu Boden. In ihm kochte es. Was war das nur für ein Scheiß-Tag? Zuerst zusammengefaltet von einem Gorilla wegen einer unbezahlten Pizza-Rechung, lächerlich!, und jetzt stritt er sich mit einem drittklassigen Kleingangster herum, der sich aufspielte, als sei er der Pate höchstpersönlich. Er blickte hoch und sah Pepe mit gesenktem Kopf in die Augen. Sein Gegenüber wurde sichtlich nervös, behielt aber seine fordernde Haltung bei.
"Ich sag dir jetzt mal was, du Arsch. Ich hatte einen beschissenen Tag, mir gehts nicht gut, und ich verspreche dir, daß es dir gleich noch schlechter geht, wenn du jetzt nicht sofort zusiehst, daß du Land gewinnst ..."
Pepe startete noch einen Versuch: "Aber der Doc ...", aber Kalle unterbrach ihn, er wurde immer lauter, bis er Pepe wie von Sinnen anbrüllte:
"Komm mir nicht mit dem Doc! Ich habe mit dem Doc schon Geschäfte gemacht, da hast du dir noch in die Windeln geschissen. Und viel weiter hast du dich seitdem auch nicht entwickelt, glaub ja nicht, du könntest hier einen auf dicke Hose machen, du bist ein mickriger Lieferjunge, also raus jetzt hier, oder ich mache dir Beine!"
Das zeigte Wirkung, einige Momente später war Kalle wieder allein, er verschloß die Tür und ließ sich aufatmend auf seinen Stuhl fallen.


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boris



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Titel: (Kein Titel)
Verfasst am: Mo, 25 Jul 2005, 22:16
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[fortgesetzt]

Kalle griff zitternd zu seinen neugewonnenen Tröstern, schüttete sich ein paar Tabletten in die Hand stopfte sie sich so ungeschickt in den Mund, daß ihm ein paar der kleinen weißen Teile entglitten und sich flink über den Boden rollend aus dem Staub machten, bevor er auch nur kucken konnte.
Er griff sich eine Flasche Whisky aus dem Regal und spülte die zerkauten Krümel herunter. Er jetzt beruhigte er sich langsam, er schloß die Augen und versuchte, ruhig und regelmäßig zu atmen, woran ihn seine pochende Nase vehement hinderte.

Der "Traubenzucker-Verdacht" war unbegründet: schon ein paar Minuten später stand Kalle senkrecht und wirbelte durch sein Büro. Er räumte seinen Schreibtisch auf, sortierte den Inhalt der ausgekiptten Schublade, wischte das Blut vom Boden und fing mit alldem noch einmal von vorne an.
Als er langsam zur Ruhe kam und merkte, daß seine Kamera fehlte, stürzte er zum Fenster und klemmte sich hinter die Jalousie, um seine Beobachtungen fortzuführen. Erst dann fiel ihm auf, daß es Sonntag war.
Kalle beschäftigte sich noch lange Stunden damit, seine Videos nach verschiedenen Systemen zu sortieren und sich einen Plan für die nächste Zeit zurecht zu legen. Zunächst mußte er seine Kamera auslösen, um die Beobachtungen weiterhin lückenlos fortführen zu können, dann stand sein neuer Plan an, seine Geschichte in lesbarer Form zu notieren, dann war die Frist, die er sich für seine Observation gesetzt hatte, schon langsam um, so daß er demnächst zur Tat schreiten mußte, wollte er nicht noch Wochen und Monate in Kauerstellung am Fensterbrett kleben.

Später fiel sein Blick auf das Tablettenröhrchen. Beim Aufräumen hatte er die heruntergefallenen Pillen nicht gefunden, aber in seinem Rausch auch nicht wirklich danach gesucht. Jetzt kippte er den Inhalt der Packung in eine kleine Schale und fing an zu zählen. Leider konnte er aus den überall abgerundeten Tabletten keine Stapel formen, und so verbrachte er geraume Zeit damit festzustellen, daß einige fehlten. Er zählte nochmal, nahm immer zehn, packte sie zurück ins Röhrchen, es blieben nur noch knapp 90 übrig. Wieviel hatte er schon gegessen? Wieviele waren runtergefallen? Wieviele hatte sich vielleicht Pepe schon unter den Nagel gerissen?
Über diese Fragen brach er schließlich auf seinem Schreibtisch zusammen, wobei er sich seine lädierte Nase abermals heftig stieß, was er als überaus schmerzhaft empfunden hätte, wäre er noch in der Lage gewesen, irgend etwas zu empfinden.


[Ende des 3. Kapitels]


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