Ruhig liegen lassen...

UncleR · Beitr�ge: 2084

In den letzten Tagen habe ich mehrere sehr angenehme Erfahrungen mit etwas reiferen Weinen sammeln d�rfen, �ber die ich an dieser Stelle kurz berichten m�chte.

Landl�ufig kauft man sich seine Lieblingspl�rre im Plus, Famila oder Hassenichgesehn-Markt und bef�rdert sie schnell dahin, wo sie hingeh�rt.

Das ist bei dem einen der Fensterbankplatz im Weinhalter �ber der Heizung (was selbst diese industriell aufbereitete Rebensuppe in nullkommnix zu schwefelhaltigem Teichwasser umwandelt), bei anderen der Magensack, der sich �ber diese Art von Vergewaltigung nachhaltig bedanken sollte, und bei konsequent qualit�tsorientierten Weinfreaks die Sp�le (wo das Gros der Supermarktweine wohl auch wirklich am besten aufgehoben ist).

Nun, �ber Geschmack braucht man nicht streiten, �ber Qualit�t darf man das schon.

Wenn es dann doch mal ein gutes, winzertechnisch handwerklich gefertigtes oder zumindest von einem renommierten Hause stammendes Tr�pfchen in den Haushalt geschafft hat, muss da nicht sofort und unmittelbar mit dem Korkenzieher gemeuchelt werden.
Es geht auch anders...

So hatte ich (�ber verschlungene Wege) ein kleines Kontingent an schon vorgereiften Weinen aus dem sonnigen S�den eingekauft und seit gut zwei Jahren gr��tenteils im k�hlen Keller oder dunklen Ecken ersch�tterungssicher verstaut. Jetzt war allerdings der Zeitpunkt gekommen, die eine oder andere Probe zu entnehmen.

Am Anfang stand ein Gracian Garnacha Vinas Viejas 2001 (alte Reben!) aus dem Hause Balthasar. Noch kein wirklich reifer, sprich alter, Wein. Aber doch schon etwas l�nger in der Kiste, als die vielen weltweit bereits ausgetrunkenen Geschwisterflaschen aus diesem hochgelobten Jahrgang.
Der erste Eindruck (wie schon bei meiner ersten Gracian vor rund zwei Jahren) war ersch�tternd, weil immer noch scharf tobende S�uren und fette Tannine den Genu� weit unter der Oberfl�che versteckt hielten.
Aber manchmal braucht es halt Geduld (und Zeit): Nach zwei Tagen im Dekanter (Karaffe) hatte sich dieser Wein vollkommen gewandelt und schickte nun in sch�ner w�rziger Frucht und annehmbarer Dichte sein vorhandenes Feuer hinaus. Nat�rlich habe ich noch eine weitere Flasche f�r den n�chsten Test 2008 Mr. Green

Dann wollte ich gern mal eine ehedem in der Metro g�nstig erstandene 1995er Gran Reserva "Marques de Arrienzo" versuchen, die mir zum Schweinsfilet in Sahne sehr passend erschien. Auch kein �berreifer Wein, da die Gran Reservas aus der Rioja gern auch 15 Jahre lagern d�rfen, bis sie aus den Kinderschuhen heraus sind. Aber ich war �berrascht und beeindruckt von der fruchtigen, kirscht�nigen Zug�nglichkeit und Ausgeglichenheit dieses Weins.
Oft erlebt man (j�ngere) Riojas mit doch sp�rbarer S�ure, aber dieser hatte alles, was einen sch�nen Wein ausmacht: Farbe, Frucht, Milde und ansprechende Aromen von lieblichen Gew�rzen. Sehr nett, auch an den Folgetagen nach �ffnung der Flasche.

Spitze wurde es dann mit einem echten Klassiker aus Ribera del Duero.
Der Pesquera Crianza 1995 von Alejandro Fernandez hatte in dieser perfekten (einwandfreien) Flasche sehr viel zu bieten. Sch�ne dunkelrote Farbe, typischer Ribera-Duft nach k�hler Frucht, Lakritz und etwas Leder. Am Gaumen dann trotz der �ber elf Jahre langen Reifezeit, sehr dichte, komplexe und lebendige Struktur mit leicht animalischer Note im Hintergrund. Ich wei� nicht, ob A. Fernandez seinen Meisterwein so konzipiert hat, aber dieser Jahrgang (der beste in den Neunzigern) hat vor allem in Begleitung von rotem Fleisch und etwas gegrilltem Gem�se oder Hartk�se sehr viel Charme und Ausdruck. Freue mich schon auf die n�chste (leider letzte) Flasche.

Aber es gibt ja noch Alternativen Mr. Green

So zum Beispiel einen ebenfalls hervorragenden 95er Rioja Artadi Vinas de Gain mit dem ich den letzten Freitagabend verbrachte. So dichte, volle Frucht. So edle balsamische T�ne. So eine hinrei�ende Farbe. Dieser Wein hatte f�r mich etwas sehr Feminines, Elegantes. Passte sogar zu einem ansprechend gew�rzten China-Entengericht, was f�r viele Rotweine problematisch sein kann.
In der Karaffe noch etwas Luft aufgenommen, war dies wirklich ein gro�er Wein mit perfekter Reife. Und das ohne den sonst f�r bessere Riojas so elementaren langwierigen Holzausbau im Weinfass. Ein Paradebeispiel f�r gute Weinbaukunst und hervorragendes Lesegut. Vergleichbare Riojas dieser Art w�ren schon nach sechs, sieben Jahren am Ende ihrer Entwicklung gewesen. Dieser h�tte sicher noch Kraft f�r drei, vier weitere Jahre Keller gehabt.

Die gr��te �berraschung durfte ich dann am Wochenende mit einem superdichten Priorat-Wein erleben.
Diese Weine sind bekannt f�r h�here Alkoholgrade (14,5 % sind Usus) und intensive, komplexe, undurchdringliche Dichte und Struktur. Also Hammerweine im besten Sinne des Wortes.
Der Martinet Bru 1998 (der Zweitwein! aus dem Hause Mas Martinet) war vor rund einem Jahr bei meiner Erstverkostung sicher ein voller und ansprechender Wein, aber nun mal auch keine Offenbarung.
Zu einfach, zu unspektakul�r f�r echten Beifall.
Aber nun eine echte B�hnenshow f�r Rotweinfans. �ppige, s��e Frucht, fein eingewobene Tannine, die eine frische W�rze offenbarten. Trotz der sp�rbaren Schwere des Weins eine spielerische Leichtigkeit beim Tanz auf den Geschmacksknospen. F�r Punktebewerter sicher eine Einstufung um die 93-94.
Habe ich dann einfach mal zum Solisten f�r den Samstag- bzw. Sonntagabend erkoren. Dazu brauchte ich dann auch keinen Braten oder Steak, war einfach so ein herrliches Erlebnis.
Sicher wiederum auch nix f�r Einsteiger oder Gelegenheitstrinker. Aber f�r Weinfans, die ihr Heil au�erhalb der bekannteren Weinbauregionen Bordeaux, Burgund, Chianti oder Rioja suchen wollen, sicherlich eine au�ergew�hnlich angenehme Erfahrung.

Als Fazit m�chte ich nochmal kurz auf die �berschrift des Artikels eingehen.
So mancher Wein, der nicht auf den �blichen Konsumwegen �ber die Superm�rkte in unser Heim kommt, hat ausreichend Potential, die n�chsten paar Jahre bei guter Lagerung (k�hl, dunkel, ruhig) zu �berstehen und dabei eine bemerkenswerte Entwicklung durchzumachen, die �ber die gewohnte Qualit�t hinausf�hrt.
Nicht jeder Wein ist f�r die Ewigkeit gemacht, aber dem einen oder anderen guten Tropfen k�nnten vier bis acht Jahre Keller sehr gut tun. Der Wein bedankt sich dann vielleicht mit einem wriklich gro�en Auftritt am Tage seiner, �hm, Hinrichtung.

Ich bin kein wirklicher Altweintrinker und meine auch die Vorz�ge eines drei�igj�hrigen Kellergeistes nicht richtig sch�tzen bzw. w�rdigen zu k�nnen. Aber es ist einen Versuch wert, mal eine kleine Investition in die Zukunft zu machen, sich eine Kiste Gutes in den Keller zu legen und die n�chste Dekade ab und an die Entwicklung des Weines vorsichtig verkostend und genie�end zu begleiten.

Einkellerungsvorschl�ge (Preisrahmen zwischen 8 und 25 EUR pro Flasche) gebe ich auf Anfrage gern mit auf den Weg.

Nochmal zum Merken: ES LOHNT SICH!!!

boris · Beitr�ge: 11057

Also zun�chst mal: maximaler Kontaktrespekt f�r die Beschreibungen der Geschmacksrichtungen.
... machst du dir beim Genu� schon Notizen oder sind deine Verkostungsnerven in der Lage, dir die Empfindungen beim sp�teren Niederschreiben noch einmal wieder "live" vorzuspielen ? Auf jeden Fall unglaublich.

Noch zwei Verst�ndnisfragen:
- "alte Reben" sind wirklich alte Pflanzen oder "nur" Pflanzen, die �ber lange Zeit veredelt (falls es sowas gibt) wurden ?
- "vorgereifter Wein" hei�t, da� der Saft schon eine gute Zeit gelagert hat, bevor er den Weg in deinen Keller fand oder ist das einfach nur eine Bezeichnung f�r generell �lteren Wein ?

UncleR · Beitr�ge: 2084